Dienstag, 15. Juli 2008

Kindersoldatinnen: Spezifische Probleme von Mädchen

Mehr als 300‘000 Kinder unter 18 Jahren kämpfen heutzutage in über 30 Ländern der Welt als Kindersoldaten, sowohl auf Regierungs- wie Oppositionsseite. Die meisten Kindersoldaten werden in Afrika von regulären Streitkräften und bewaffneten Gruppen rekrutiert. Ihre Anzahl wird offiziell auf 120‘000 geschätzt. Die Art, wie Kindersoldaten eingesetzt werden, hängt nicht zuletzt auch von ihrem Geschlecht ab.

Obwohl es sich grössten­teils um Jungen handelt, beläuft sich der Anteil an Mädchen immerhin auf einen bis zwei Drittel. Mädchen werden aber selten als Kinder­soldaten bezeichnet, man spricht deshalb oft von „unsichtbaren Mädchen“. Mädchen machen heute rund 120‘000 aller Kinder aus, die weltweit in kriegerische Auseinander­setzungen verwickelt sind. Im November 2004 kämpften Mädchen als Kindersoldatinnen in mindestens 14 Ländern: in Burundi, der demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, Liberia, Uganda, Kolumbien, Indien, Indonesien, Myanmar, Nepal, Sri Lanka, Israel, in den Besetzten Gebieten und im Sudan. Auf die Problematik der in Streitkräften und Rebellengruppen involvierten Mädchen wurde bis heute nicht ausreichend aufmerksam gemacht. Die traditionelle Wahrnehmung des bewaffneten Jungen als Kindersoldat muss überdacht werden, um vermehrt auf das Los der Kindersoldatinnen aufmerksam zu machen. Dies dient ebenso dem gezielten Einsatz von Hilfs­program­men, um alle die an kriegeri­schen Auseinandersetzungen teilnehmen zu entwaffnen und nachhaltig in die Gesellschaft zu reintegrieren.

Die steigende Anzahl von Kinder­soldaten ist insbesondere durch zwei Faktoren beeinflusst: Die sich ändernde Struktur von Konflikten, die sich mehr und mehr innerhalb eines Landes abspielen, und die Verbreitung von Kleinwaffen. In Konflikten sind die fehlende allgemeine Sicherheit sowie die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen oft Auslöser, welche Jugendliche, Mädchen einge­schlossen, dazu bringen, sich zu bewaffnen. Mädchen entscheiden sich vermehrt dazu, sich rekrutieren zu lassen, um häuslicher Gewalt zu entgehen oder um einer Aussenseiterrolle oder einer Position der Unterwerfung zu entfliehen, in welche die Gesellschaft sie drängt. Die Hoffnung auf einen sozial anerkannten und respektierten Status motiviert viele Mädchen, die auf der Suche nach Gleichbehandlung sind, sich rekrutieren zu lassen; zum Beispiel auf den Philippinnen oder in Sri Lanka. Kinder haben für bewaffnete Gruppen einen grossen Vorteil, denn sie sind einfacher zu manipulieren, zu motivieren oder einzuschüchtern. Sie sind gehorsamer als Erwachsene, passen sich besser an die neue Umgebung an und sind kostengünstiger. Aus diesen Gründen haben viele bewaffnete Gruppen (z.B. die „Revolutionary United Front“, RUF, in Sierra Leone, die „Lord’s Resistance Army“, LRA, im Norden Ugandas oder die „Front de résistance patriotique du Congo“ FRPI, in der DRC) massiv Kinder entführt, um die eigenen Reihen zu stärken. Im Allgemeinen haben Rebellengruppen die grösste Tendenz, Mädchen einzusetzen; diese werden jedoch auch von Regierungstruppen, paramilitärischen Organisationen oder Milizen eingezogen. Bewaffnete Gruppen integrieren besonders gerne Mädchen in ihren Reihen, weil sie häusliche Aufgaben übernehmen, und so der Stärkung der Kriegsmoral dienen. Sie werden unter­schiedlich eingesetzt, z.B. zum Kochen, Tragen von Munition oder Waffen, Wache halten, Spionieren, Übertragen von Meldungen und Erledigen von Botengängen. Darüber hinaus werden sie oft auch zu sexuellen Handlungen mit Kämpfern gezwungen. Diese Aufgaben bestehen nicht in Kampfhandlungen und sind deshalb auch weniger nach Aussen hin sichtbar. Aber entgegen weit verbreiteter Annahmen werden Mädchen auch in Kämpfen eingesetzt. Felduntersuchungen zeigen, dass bereits 2002 die Hälfte der befragten Mädchen in Streitkräften ihre Hauptaufgabe als Frontkämpferin sahen. In Sierra Leone gründete die RUF die „Small Girls Units“. Dies sind speziell zusammengesetzte Gruppen, bestehend aus Mädchen im Alter von 6 bis 15 Jahren, für häusliche Aufgaben und militärische Unterstützung. Alle Mädchen wurden aber vorerst militärisch ausgebildet.

Rechtliche Texte zum Thema zeigen ganz eindeutig, dass das Internationale Recht die Problematik der Mädchen, die in Kampfhandlungen verwickelt sind, noch nicht erkannt hat. Die Situation von Mädchensoldatinnen wird von den einschlägigen rechtlichen Instrumenten nicht als eigenständige Problematik erfasst, da sie rechtlich allgemein als Kinder definiert werden. Das Humanitäre Völkerrecht setzt das Mindestalter für die Rekrutierung und den Einsatz in Kampfhandlungen bei 15 Jahren an, sei es in internationalen oder internen Konflikten. Diese Regel gilt gleichermassen für alle am Konflikt beteiligten Parteien, sowohl für Regierungstruppen als auch für irregeläre bewaffnete Gruppen. Die UN Kinderrechtskonvention enthält das gleiche Mindestalter wie es vom Humanitären Völkerrecht festgelegt wird, während das zugehörige Zusatzprotokoll das Mindestalter für die Teilnahme an Feindseligkeiten von 15 auf 18 Jahre anhebt. Dies gilt auch für irreguläre bewaffnete Gruppen. Doch auch dieses wichtigste internationale Instrument zur Thematik der Kindersoldaten, erwähnt Mädchen nicht speziell. Es macht keinen Unterschied hinsichtlich des Geschlechts der Kindersoldaten, und zwar auch nicht bei der Regulierung der Demobilisierung. Einzig in den „Prinzipien von Kapstadt“ , die 1997 während der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Südafrika beschlossen und 2007 an der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Paris in den Pariser Prinzipien wiederaufgenommen und weiterentwickelt wurden, wird die spezielle Situation von Mädchen berücksichtigt. Ein Kinder­soldaten wird in den Pariser Prinzipien definiert als “Jede Person unter 18 Jahren, die einer Armee oder einer regulären oder irregulären bewaffneten Gruppe angehört, unabhängig von der Funktion wie Koch, Träger oder Bote, sowie jede Person unter 18 Jahren, die solche Truppen begleitet ohne Familienangehöriger zu sein, namentlich Mädchen, die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder der Zwangsheirat rekrutiert wurden. Der Begriff der Kindersoldaten umfasst daher nicht nur Kinder, die Waffen tragen oder getragen haben.“ Diese Definition, die einhellig von der UNICEF und einer grossen Anzahl NGOs im Bereich der Kinderrechte anerkannt wird, bricht eindeutig mit der stereotypen Vorstellung von Kindersoldaten. Es scheint heute unverzichtbar, auf der Basis dieser Prinzipien eine rechtlich bindende Definition festzulegen.

Aus strafrechtlicher Sicht stellt die „Zwangs­verpflichtung oder Ein­gliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten“ gemäss Römer Statut und dem Statut des SCSL ein Kriegsverbrechen dar. Der SCSL hat die völkergewohnheits­rechtliche Natur dieser Straftat bestätigt. Die im Falle Lubanga am 29. Januar 2007 vom IStGH bestätigte Anklageschrift präzisiert, dass Lubanga angeklagt ist, Mädchen und Jungen eingezogen und bei Feindseligkeiten in Ituri eingesetzt zu haben. Des Weiteren wurden gegen Germain Katanga, Mathieu Ngudjolo Chui und Bosco Ntaganda wegen ihrer Rolle bei der Rekrutierung von Kindern Haftbefehle erlassen.

Nach einem Konflikt ist die Wiedereingliederung von Mädchen, die in Streitkräften eingebunden waren, ausschlaggebend bei der Bestimmung ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Zukunftsperspektive als Frau. Leider haben internationale Hilfsprogramme die speziellen Bedürfnisse dieser Mädchen zu oft nicht erkannt und haben sie deshalb nicht in die DDR-Programme (Desarmament, Demobilisation, Reintegration) zur Entwaffnung, De­mobilisierung und Reintegration aufgenommen. Die Erfahrung mit den DDR-Programmen seit 2000 hat es ermöglicht, der internationalen Gemeinschaft klar zu machen, dass die Problematik der Mädchensoldatinnen als eine eigenständige zu behandeln und im Friedensprozess als solche miteinzubeziehen ist.

Die Auswahlkriterien, die eine Teilnahme an DDR-Programmen erlaubten, sind generell zu eng bestimmt worden. Die Definition des „Kämpfers“ (combatant) müsste erweitert werden, damit auch Personen die als Hilfskräfte tätig waren, und nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnahmen, mit einbezogen werden. Nur eine erweiterte Definition sichert eine Behandlung, welche die Geschlechter­problematik genügend beachtet und so die Teilnahme von Mädchen an DDR-Programmen ermöglicht. Die aktuellen Erfolge der DDR-Programme in Liberia sind der Erweiterung der Kämpferdefinition zu verdanken, welche die Integrierung der Mädchen in die Programme erleichtert hat. Um den Ausschluss der Mädchen von Wieder­ein­gliederungs­prozessen zu ver­stehen, müssen die Ausschlusskriterien erstmals identifiziert werden. Viele von diesen Mädchen sind nicht bereit, ihre militärische Beteiligung offiziell zuzugeben, denn ein Grossteil wird danach von der Familie und auch von der Gesellschaft stigmatisiert oder auch ausgeschlossen. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Gesellschaften, insbesondere mit nationalen Frauen­organisationen, ein wichtiger Schritt, um die Wiedereingliederung von Mädchen zu ermöglichen. Letztendlich haben die Mädchen in ihrer Zeit bei den Streitkräften auch Kompetenzen und Fähigkeiten erworben, welche im anschliessenden Wieder­eingliederungsprozess Beachtung finden müssen.

Régine Gachoud arbeitet als Rechts­beraterin im Büro des Anklägers am Sondergerichtshof für Sierra Leone. Die in diesem Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL (Track Impunity Always) und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebenso wenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.

Régine Gachoud
(Übersetzung: Natascha Knoblich)


Régine Gachoud ist Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am SCSL. Die im Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebensowenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.

Dieser Artikel ist im
Journal von TRIAL Nr. 16 erschienen (Juni 2008, Seite 11-12)

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