Am 22. Februar 2008 hat die Berufungskammer des Sondergerichtshofes für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone, SCSL) „Zwangsheiraten“, die den drei Angeklagten Brima, Kamara und Kanu im Zuge des Verfahrens gegen die bewaffnete Gruppe „Armed Forces Revolutionary Council“ (AFRC) vorgeworfen wurden, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.
Die Debatte um die Kriminalisierung von Zwangsehen im Rahmen von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung und in bewaffneten Konflikten dauert schon eine Weile. Jetzt wurde die Zwangsheirat zum ersten Mal in der Geschichte des Völkerstrafrechts von der höchsten Instanz eines gemischten Gerichts als eigenständiges Verbrechen, das von der sexuellen Sklaverei zu unterscheiden ist, anerkannt. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen, die vorliegen müssen, werden im Folgenden erläutert.
Das genannte Urteil des SCSL eröffnet Frauen, die Opfer solcher Gräueltaten wurden, neue Perspektiven der Strafverfolgung und der Entschädigung – nicht nur in Sierra Leone, sondern auch in anderen betroffenen Regionen. Für die zahlreichen Frauen, die diese Misshandlungen während des Konfliktes zwischen 1991 und 2002 erdulden mussten und die als "Bush wives" („Dschungelfrauen“ nannte man die Frauen, die mit Kommandanten der Rebellengruppen zwangsverheiratet wurden) stigmatisiert werden, stellt diese Entscheidung ein Meilenstein dar.
Die Entwicklung des Konzeptes der Zwangsheirat sei hier kurz beleuchtet, bevor die von der Berufungskammer des SCSL gegebene juristische Definition zusammenfassend wiedergeben wird.
Es ist hinreichend bekannt, dass in bewaffneten Konflikten oder im Rahmen von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung Frauen fast immer Opfer von Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt, werden: Vergewaltigungen, Zwangsprostitution oder sexuelle Sklaverei werden mit dem strategischen Ziel begangen, Terror zu verbreiten, den Gegner zu demoralisieren, oder die eigenen Kämpfer „bei Laune zu halten“.
Nebst diesen Gräueltaten wurden auch Zwangsehen von Menschenrechtsorganisationen regelmässig angeprangert. Die Zwangsehe war zum Beispiel während des Völkermordes in Ruanda ein gängiges an Frauen begangenes Verbrechen. Das Internationale Straftribunal für Ruanda (ICTR) hat im Fall Akayesu zwar befunden, dass die verschiedenen Formen sexueller Gewalt, wie sie von den Opfern während des Prozesses beschrieben wurden, auch Zwangsehen beinhalten. Die Zwangsehe wurde aber dabei nicht ausdrücklich als eigenständiges Verbrechen, das von anderen Formen der sexuellen Gewalt zu unterscheiden ist, anerkannt.
Was den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeht, so erwähnt das Römer Statut von 1998 den Tatbestand der Zwangsheirat nicht. Das Statut des SCSL lehnt sich stark an dasjenige des IStGH an, da dieses damals die aktuellste Kodifizierung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellte. Dementsprechend kennt auch dieses Statut die Zwangsehe nicht explizit als Tatbestand.
Dennoch hat die Verfahrenskammer II des SCSL in einer Entscheidung vom 7. Mai 2004 einen Antrag des Anklägers gutgeheissen, die Zwangsheirat mit der rechtlichen Qualifizierung als "anderweitige unmenschliche Handlungen" (Artikel 2 lit. i des Statuts des SCSL) als zusätzlichen Anklagepunkt gegen die Beschuldigten im Fall AFRC in die Anklageschrift aufzunehmen. Allerdings befand die gleiche Kammer schliesslich in ihrem Urteil vom 20. Juni 2007, dass der Tatbestand "anderweitige unmenschliche Handlungen" restriktiv und auf solche Art auszulegen sei, dass Verbrechen sexueller Natur nicht darunter fielen. Der Grund sei, so die Kammer, dass Artikel 2 lit. g des Statuts „alle andern Formen der sexuellen Gewalt“ bereits beinhalte. Das erstinstanzliche Richtergremium war in seinem Urteil zum Schluss gekommen, dass der Ankläger nicht hinreichend bewiesen habe, dass Zwangsehen nicht-sexuelle Verbrechen seien. Auch seien die bewiesenen Tathandlungen im Tatbestand der sexuellen Sklaverei (sexual slavery) enthalten und würden von diesem konsumiert. Diesbezüglich hatte die Kammer befunden, dass der Begriff „Ehefrau“ (wife), wie er von den Tätern verstanden wurde, mehr dessen Besitzanspruch über das Opfer als den Status einer „Ehefrau“ im eigentlichen Sinne zum Ausdruck bringt.
Auf Berufung des Anklägers hin kritisierte die Berufungskammer des SCSL in ihrem Urteil vom 22. Februar 2008 diese Argumentation als fehlerhaft.
Zunächst haben die Berufungsrichter und die Berufungsrichterin die Reichweite des Verbrechens der „anderen unmenschlichen Handlungen“ untersucht und sind aufgrund einer teleologischen Auslegung und der Rechtssprechung der internationalen Gerichtshöfe zum Ergebnis gekommen, dass Verbrechen sexueller Natur dabei durchaus inbegriffen seien. Die Richter haben daran erinnert, dass es gerade das Ziel dieser nicht abschliessenden Bestimmung gewesen sei zu verhindern, dass eine festgelegte Aufzählung den Peinigern erlaube, die ausdrücklich genannten Tatbestände zu umgehen, indem sie sich immer neue Arten unmenschlicher Handlungen einfallen liessen.
In einem zweiten Schritt hielt die Berufungskammer fest, dass die Urheber der Zwangsheirat eher die Absicht hätten, ihren Opfern eine eheliche Beziehung aufzuzwingen als sie zu versklaven. Als Beweis für das Vorliegen einer solchen erzwungenen ehelichen Verbindung anerkannten die Richter zum Beispiel, dass AFRC Truppen Frauen oder junge Mädchen systematisch aus ihren Häusern entführten, sie zwangen, ihnen zu folgen und dabei die Aufgaben von Ehefrauen zu erfüllen: Dazu gehörten Geschlechtsverkehr, die Erledigung von Hausarbeiten für den "Ehemann" sowie das Hinnehmen von Schwangerschaften und die Sorge für die Kinder, die einer solchen „Ehe“ entsprangen. Von der „Ehefrau“ wurde erwartet, dass sie ihrem „Mann“ gegenüber völlig loyal war sowie „Liebe“ und Zuneigung zeigte.
Im Gegenzug war der "Ehemann" gehalten, Nahrung und Kleidung zur Verfügung zu stellen und seine "Ehefrau" zu schützen – unter anderem vor Vergewaltigungen durch die anderen Kombattanten. Dieser Schutz – obwohl höchst relativ – war dagegen nicht garantiert, wenn eine Frau einzig als Sexsklavin benutzt wurde. Hervorzustreichen ist die Feststellung der Richter, , dass die relativen Vorteile, die diese eheliche Beziehung für die Opfer mit sich brachte, in keiner Weise auf eine Zustimmung der Opfer schliessen liessen, und auch nichts am verbrecherischen Charakter einer Zwangsheirat änderten. Im Übrigen drohten einer Frau, die ihren "ehelichen" Aufgaben nicht nachkam, Sanktionen, die bis zur Todesstrafe reichen konnten.
Die Berufungskammer kam zum Schluss, dass die Zwangsheirat nicht vom Verbrechen der sexuellen Sklaverei miterfasst werde, da sich die Verbrechenselemente von einander unterschieden, und dass das Verbrechen der Zwangsheirat nicht unbedingt ein Sexualverbrechen darstelle, da für seine Vollendung kein Sexualakt vorausgesetzt sei.
Überdies waren die Berufungsrichter und die Berufungsrichterin der Meinung, dass die betroffenen Frauen nicht nur während, sondern auch nach der Zwangsheirat schreckliche Leiden ausstehen mussten (Verletzungen im Unterleib, Geschlechtskrankheiten). Sie haben ferner die Stigmatisierung dieser Frauen hervorgehoben, welche von der Gesellschaft Sierra Leones ausgestossen und mit abwertenden Begriffen wie "Rebellenfrau" oder "Dschungelgattin" belegt werden. Die Berufungskammer hat daraus geschlossen, dass die Zwangsheirat in diesem Kontext ähnlich schwerwiegend ist wie andere, vom Völkerrecht anerkannte Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Richter waren allerdings darauf bedacht, solche Zwangsheiraten im Rahmen eines bewaffneten Konflikts klar von jenen Ehen zu unterscheiden, die von Familien in Friedenszeiten gemäss der Tradition mancher Kulturen arrangiert werden. Sie haben jedoch festgehalten, dass arrangierte Ehen von Minderjährigen gegen bestimmte menschenrechtliche Instrumente wie etwa das ‚Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau’ verstossen. Im Unterschied zu Zwangsheiraten sind solche arrangierte Ehen jedoch nicht kriminalisiert.
Das Gesagte brachte die Berufungskammer zu dem Schluss, dass eine Zwangsehe definiert werden kann als "eine Situation, in der der Täter durch seine Worte oder sein Verhalten eine Person durch Gewalt, Androhung von Gewalt oder durch Zwang dazu bewegt, seine Ehepartnerin zu sein, und ihr dadurch grosse Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit verursacht." Die Richter fügten hinzu, dass den Tätern mit Blick auf die Umstände, in denen die Zwangsheiraten ausgeführt wurden (Entführung, extreme Gewalt), klar gewesen sein muss, dass ihre Handlungen strafbar waren.
Dieses letztinstanzliche Urteil des SCSL ist somit von grosser Bedeutung. Selbst wenn die Richter betonten, dass dieses Verbrechen im spezifischen Kontext des Konfliktes von Sierra Leone zu beurteilen sei, bleibt abzuwarten, welchen Einfluss dieser Entscheid auf die Strafverfolgung von Zwangsheiraten in anderen Regionen haben wird. In Uganda zum Beispiel werden Frauen von der "Lord’s Resistance Army" entführt und Kommandanten zur "Ehefrau" gegeben. Erwähnenswert ist zudem, dass die Anerkennung der Zwangsheirat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Strafverfolgung auch ausserhalb eines bewaffneten Konfliktes - allerdings während eines Angriffs auf die Zivilbevölkerung - erlaubt. Das Urteil ist ein weiterer Schritt gegen die bisherige Straffreiheit gewisser Kombattanten, die von einer rechtsfreien Situation profitieren, um solch unmenschliche Handlungen gegen Frauen und junge Mädchen zu begehen.
Anne Althaus
(Übersetzung: Carolin Würzner)
Anne Althaus arbeitete als Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am Sondergerichtshof für Sierra Leone Die in diesem Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL (Track Impunity Always) und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebenso wenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.
Dieser Artikel ist im Journal von TRIAL Nr. 16 erschienen (Juni 2008, Seite 10-11)
Dienstag, 15. Juli 2008
Kindersoldatinnen: Spezifische Probleme von Mädchen
Mehr als 300‘000 Kinder unter 18 Jahren kämpfen heutzutage in über 30 Ländern der Welt als Kindersoldaten, sowohl auf Regierungs- wie Oppositionsseite. Die meisten Kindersoldaten werden in Afrika von regulären Streitkräften und bewaffneten Gruppen rekrutiert. Ihre Anzahl wird offiziell auf 120‘000 geschätzt. Die Art, wie Kindersoldaten eingesetzt werden, hängt nicht zuletzt auch von ihrem Geschlecht ab.
Obwohl es sich grösstenteils um Jungen handelt, beläuft sich der Anteil an Mädchen immerhin auf einen bis zwei Drittel. Mädchen werden aber selten als Kindersoldaten bezeichnet, man spricht deshalb oft von „unsichtbaren Mädchen“. Mädchen machen heute rund 120‘000 aller Kinder aus, die weltweit in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind. Im November 2004 kämpften Mädchen als Kindersoldatinnen in mindestens 14 Ländern: in Burundi, der demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, Liberia, Uganda, Kolumbien, Indien, Indonesien, Myanmar, Nepal, Sri Lanka, Israel, in den Besetzten Gebieten und im Sudan. Auf die Problematik der in Streitkräften und Rebellengruppen involvierten Mädchen wurde bis heute nicht ausreichend aufmerksam gemacht. Die traditionelle Wahrnehmung des bewaffneten Jungen als Kindersoldat muss überdacht werden, um vermehrt auf das Los der Kindersoldatinnen aufmerksam zu machen. Dies dient ebenso dem gezielten Einsatz von Hilfsprogrammen, um alle die an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen zu entwaffnen und nachhaltig in die Gesellschaft zu reintegrieren.
Die steigende Anzahl von Kindersoldaten ist insbesondere durch zwei Faktoren beeinflusst: Die sich ändernde Struktur von Konflikten, die sich mehr und mehr innerhalb eines Landes abspielen, und die Verbreitung von Kleinwaffen. In Konflikten sind die fehlende allgemeine Sicherheit sowie die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen oft Auslöser, welche Jugendliche, Mädchen eingeschlossen, dazu bringen, sich zu bewaffnen. Mädchen entscheiden sich vermehrt dazu, sich rekrutieren zu lassen, um häuslicher Gewalt zu entgehen oder um einer Aussenseiterrolle oder einer Position der Unterwerfung zu entfliehen, in welche die Gesellschaft sie drängt. Die Hoffnung auf einen sozial anerkannten und respektierten Status motiviert viele Mädchen, die auf der Suche nach Gleichbehandlung sind, sich rekrutieren zu lassen; zum Beispiel auf den Philippinnen oder in Sri Lanka. Kinder haben für bewaffnete Gruppen einen grossen Vorteil, denn sie sind einfacher zu manipulieren, zu motivieren oder einzuschüchtern. Sie sind gehorsamer als Erwachsene, passen sich besser an die neue Umgebung an und sind kostengünstiger. Aus diesen Gründen haben viele bewaffnete Gruppen (z.B. die „Revolutionary United Front“, RUF, in Sierra Leone, die „Lord’s Resistance Army“, LRA, im Norden Ugandas oder die „Front de résistance patriotique du Congo“ FRPI, in der DRC) massiv Kinder entführt, um die eigenen Reihen zu stärken. Im Allgemeinen haben Rebellengruppen die grösste Tendenz, Mädchen einzusetzen; diese werden jedoch auch von Regierungstruppen, paramilitärischen Organisationen oder Milizen eingezogen. Bewaffnete Gruppen integrieren besonders gerne Mädchen in ihren Reihen, weil sie häusliche Aufgaben übernehmen, und so der Stärkung der Kriegsmoral dienen. Sie werden unterschiedlich eingesetzt, z.B. zum Kochen, Tragen von Munition oder Waffen, Wache halten, Spionieren, Übertragen von Meldungen und Erledigen von Botengängen. Darüber hinaus werden sie oft auch zu sexuellen Handlungen mit Kämpfern gezwungen. Diese Aufgaben bestehen nicht in Kampfhandlungen und sind deshalb auch weniger nach Aussen hin sichtbar. Aber entgegen weit verbreiteter Annahmen werden Mädchen auch in Kämpfen eingesetzt. Felduntersuchungen zeigen, dass bereits 2002 die Hälfte der befragten Mädchen in Streitkräften ihre Hauptaufgabe als Frontkämpferin sahen. In Sierra Leone gründete die RUF die „Small Girls Units“. Dies sind speziell zusammengesetzte Gruppen, bestehend aus Mädchen im Alter von 6 bis 15 Jahren, für häusliche Aufgaben und militärische Unterstützung. Alle Mädchen wurden aber vorerst militärisch ausgebildet.
Rechtliche Texte zum Thema zeigen ganz eindeutig, dass das Internationale Recht die Problematik der Mädchen, die in Kampfhandlungen verwickelt sind, noch nicht erkannt hat. Die Situation von Mädchensoldatinnen wird von den einschlägigen rechtlichen Instrumenten nicht als eigenständige Problematik erfasst, da sie rechtlich allgemein als Kinder definiert werden. Das Humanitäre Völkerrecht setzt das Mindestalter für die Rekrutierung und den Einsatz in Kampfhandlungen bei 15 Jahren an, sei es in internationalen oder internen Konflikten. Diese Regel gilt gleichermassen für alle am Konflikt beteiligten Parteien, sowohl für Regierungstruppen als auch für irregeläre bewaffnete Gruppen. Die UN Kinderrechtskonvention enthält das gleiche Mindestalter wie es vom Humanitären Völkerrecht festgelegt wird, während das zugehörige Zusatzprotokoll das Mindestalter für die Teilnahme an Feindseligkeiten von 15 auf 18 Jahre anhebt. Dies gilt auch für irreguläre bewaffnete Gruppen. Doch auch dieses wichtigste internationale Instrument zur Thematik der Kindersoldaten, erwähnt Mädchen nicht speziell. Es macht keinen Unterschied hinsichtlich des Geschlechts der Kindersoldaten, und zwar auch nicht bei der Regulierung der Demobilisierung. Einzig in den „Prinzipien von Kapstadt“ , die 1997 während der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Südafrika beschlossen und 2007 an der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Paris in den Pariser Prinzipien wiederaufgenommen und weiterentwickelt wurden, wird die spezielle Situation von Mädchen berücksichtigt. Ein Kindersoldaten wird in den Pariser Prinzipien definiert als “Jede Person unter 18 Jahren, die einer Armee oder einer regulären oder irregulären bewaffneten Gruppe angehört, unabhängig von der Funktion wie Koch, Träger oder Bote, sowie jede Person unter 18 Jahren, die solche Truppen begleitet ohne Familienangehöriger zu sein, namentlich Mädchen, die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder der Zwangsheirat rekrutiert wurden. Der Begriff der Kindersoldaten umfasst daher nicht nur Kinder, die Waffen tragen oder getragen haben.“ Diese Definition, die einhellig von der UNICEF und einer grossen Anzahl NGOs im Bereich der Kinderrechte anerkannt wird, bricht eindeutig mit der stereotypen Vorstellung von Kindersoldaten. Es scheint heute unverzichtbar, auf der Basis dieser Prinzipien eine rechtlich bindende Definition festzulegen.
Aus strafrechtlicher Sicht stellt die „Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten“ gemäss Römer Statut und dem Statut des SCSL ein Kriegsverbrechen dar. Der SCSL hat die völkergewohnheitsrechtliche Natur dieser Straftat bestätigt. Die im Falle Lubanga am 29. Januar 2007 vom IStGH bestätigte Anklageschrift präzisiert, dass Lubanga angeklagt ist, Mädchen und Jungen eingezogen und bei Feindseligkeiten in Ituri eingesetzt zu haben. Des Weiteren wurden gegen Germain Katanga, Mathieu Ngudjolo Chui und Bosco Ntaganda wegen ihrer Rolle bei der Rekrutierung von Kindern Haftbefehle erlassen.
Nach einem Konflikt ist die Wiedereingliederung von Mädchen, die in Streitkräften eingebunden waren, ausschlaggebend bei der Bestimmung ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Zukunftsperspektive als Frau. Leider haben internationale Hilfsprogramme die speziellen Bedürfnisse dieser Mädchen zu oft nicht erkannt und haben sie deshalb nicht in die DDR-Programme (Desarmament, Demobilisation, Reintegration) zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration aufgenommen. Die Erfahrung mit den DDR-Programmen seit 2000 hat es ermöglicht, der internationalen Gemeinschaft klar zu machen, dass die Problematik der Mädchensoldatinnen als eine eigenständige zu behandeln und im Friedensprozess als solche miteinzubeziehen ist.
Die Auswahlkriterien, die eine Teilnahme an DDR-Programmen erlaubten, sind generell zu eng bestimmt worden. Die Definition des „Kämpfers“ (combatant) müsste erweitert werden, damit auch Personen die als Hilfskräfte tätig waren, und nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnahmen, mit einbezogen werden. Nur eine erweiterte Definition sichert eine Behandlung, welche die Geschlechterproblematik genügend beachtet und so die Teilnahme von Mädchen an DDR-Programmen ermöglicht. Die aktuellen Erfolge der DDR-Programme in Liberia sind der Erweiterung der Kämpferdefinition zu verdanken, welche die Integrierung der Mädchen in die Programme erleichtert hat. Um den Ausschluss der Mädchen von Wiedereingliederungsprozessen zu verstehen, müssen die Ausschlusskriterien erstmals identifiziert werden. Viele von diesen Mädchen sind nicht bereit, ihre militärische Beteiligung offiziell zuzugeben, denn ein Grossteil wird danach von der Familie und auch von der Gesellschaft stigmatisiert oder auch ausgeschlossen. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Gesellschaften, insbesondere mit nationalen Frauenorganisationen, ein wichtiger Schritt, um die Wiedereingliederung von Mädchen zu ermöglichen. Letztendlich haben die Mädchen in ihrer Zeit bei den Streitkräften auch Kompetenzen und Fähigkeiten erworben, welche im anschliessenden Wiedereingliederungsprozess Beachtung finden müssen.
Régine Gachoud arbeitet als Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am Sondergerichtshof für Sierra Leone. Die in diesem Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL (Track Impunity Always) und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebenso wenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.
Régine Gachoud
(Übersetzung: Natascha Knoblich)
Régine Gachoud ist Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am SCSL. Die im Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebensowenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.
Dieser Artikel ist im Journal von TRIAL Nr. 16 erschienen (Juni 2008, Seite 11-12)
Obwohl es sich grösstenteils um Jungen handelt, beläuft sich der Anteil an Mädchen immerhin auf einen bis zwei Drittel. Mädchen werden aber selten als Kindersoldaten bezeichnet, man spricht deshalb oft von „unsichtbaren Mädchen“. Mädchen machen heute rund 120‘000 aller Kinder aus, die weltweit in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind. Im November 2004 kämpften Mädchen als Kindersoldatinnen in mindestens 14 Ländern: in Burundi, der demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, Liberia, Uganda, Kolumbien, Indien, Indonesien, Myanmar, Nepal, Sri Lanka, Israel, in den Besetzten Gebieten und im Sudan. Auf die Problematik der in Streitkräften und Rebellengruppen involvierten Mädchen wurde bis heute nicht ausreichend aufmerksam gemacht. Die traditionelle Wahrnehmung des bewaffneten Jungen als Kindersoldat muss überdacht werden, um vermehrt auf das Los der Kindersoldatinnen aufmerksam zu machen. Dies dient ebenso dem gezielten Einsatz von Hilfsprogrammen, um alle die an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen zu entwaffnen und nachhaltig in die Gesellschaft zu reintegrieren.
Die steigende Anzahl von Kindersoldaten ist insbesondere durch zwei Faktoren beeinflusst: Die sich ändernde Struktur von Konflikten, die sich mehr und mehr innerhalb eines Landes abspielen, und die Verbreitung von Kleinwaffen. In Konflikten sind die fehlende allgemeine Sicherheit sowie die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen oft Auslöser, welche Jugendliche, Mädchen eingeschlossen, dazu bringen, sich zu bewaffnen. Mädchen entscheiden sich vermehrt dazu, sich rekrutieren zu lassen, um häuslicher Gewalt zu entgehen oder um einer Aussenseiterrolle oder einer Position der Unterwerfung zu entfliehen, in welche die Gesellschaft sie drängt. Die Hoffnung auf einen sozial anerkannten und respektierten Status motiviert viele Mädchen, die auf der Suche nach Gleichbehandlung sind, sich rekrutieren zu lassen; zum Beispiel auf den Philippinnen oder in Sri Lanka. Kinder haben für bewaffnete Gruppen einen grossen Vorteil, denn sie sind einfacher zu manipulieren, zu motivieren oder einzuschüchtern. Sie sind gehorsamer als Erwachsene, passen sich besser an die neue Umgebung an und sind kostengünstiger. Aus diesen Gründen haben viele bewaffnete Gruppen (z.B. die „Revolutionary United Front“, RUF, in Sierra Leone, die „Lord’s Resistance Army“, LRA, im Norden Ugandas oder die „Front de résistance patriotique du Congo“ FRPI, in der DRC) massiv Kinder entführt, um die eigenen Reihen zu stärken. Im Allgemeinen haben Rebellengruppen die grösste Tendenz, Mädchen einzusetzen; diese werden jedoch auch von Regierungstruppen, paramilitärischen Organisationen oder Milizen eingezogen. Bewaffnete Gruppen integrieren besonders gerne Mädchen in ihren Reihen, weil sie häusliche Aufgaben übernehmen, und so der Stärkung der Kriegsmoral dienen. Sie werden unterschiedlich eingesetzt, z.B. zum Kochen, Tragen von Munition oder Waffen, Wache halten, Spionieren, Übertragen von Meldungen und Erledigen von Botengängen. Darüber hinaus werden sie oft auch zu sexuellen Handlungen mit Kämpfern gezwungen. Diese Aufgaben bestehen nicht in Kampfhandlungen und sind deshalb auch weniger nach Aussen hin sichtbar. Aber entgegen weit verbreiteter Annahmen werden Mädchen auch in Kämpfen eingesetzt. Felduntersuchungen zeigen, dass bereits 2002 die Hälfte der befragten Mädchen in Streitkräften ihre Hauptaufgabe als Frontkämpferin sahen. In Sierra Leone gründete die RUF die „Small Girls Units“. Dies sind speziell zusammengesetzte Gruppen, bestehend aus Mädchen im Alter von 6 bis 15 Jahren, für häusliche Aufgaben und militärische Unterstützung. Alle Mädchen wurden aber vorerst militärisch ausgebildet.
Rechtliche Texte zum Thema zeigen ganz eindeutig, dass das Internationale Recht die Problematik der Mädchen, die in Kampfhandlungen verwickelt sind, noch nicht erkannt hat. Die Situation von Mädchensoldatinnen wird von den einschlägigen rechtlichen Instrumenten nicht als eigenständige Problematik erfasst, da sie rechtlich allgemein als Kinder definiert werden. Das Humanitäre Völkerrecht setzt das Mindestalter für die Rekrutierung und den Einsatz in Kampfhandlungen bei 15 Jahren an, sei es in internationalen oder internen Konflikten. Diese Regel gilt gleichermassen für alle am Konflikt beteiligten Parteien, sowohl für Regierungstruppen als auch für irregeläre bewaffnete Gruppen. Die UN Kinderrechtskonvention enthält das gleiche Mindestalter wie es vom Humanitären Völkerrecht festgelegt wird, während das zugehörige Zusatzprotokoll das Mindestalter für die Teilnahme an Feindseligkeiten von 15 auf 18 Jahre anhebt. Dies gilt auch für irreguläre bewaffnete Gruppen. Doch auch dieses wichtigste internationale Instrument zur Thematik der Kindersoldaten, erwähnt Mädchen nicht speziell. Es macht keinen Unterschied hinsichtlich des Geschlechts der Kindersoldaten, und zwar auch nicht bei der Regulierung der Demobilisierung. Einzig in den „Prinzipien von Kapstadt“ , die 1997 während der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Südafrika beschlossen und 2007 an der internationalen Konferenz über Kindersoldaten in Paris in den Pariser Prinzipien wiederaufgenommen und weiterentwickelt wurden, wird die spezielle Situation von Mädchen berücksichtigt. Ein Kindersoldaten wird in den Pariser Prinzipien definiert als “Jede Person unter 18 Jahren, die einer Armee oder einer regulären oder irregulären bewaffneten Gruppe angehört, unabhängig von der Funktion wie Koch, Träger oder Bote, sowie jede Person unter 18 Jahren, die solche Truppen begleitet ohne Familienangehöriger zu sein, namentlich Mädchen, die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder der Zwangsheirat rekrutiert wurden. Der Begriff der Kindersoldaten umfasst daher nicht nur Kinder, die Waffen tragen oder getragen haben.“ Diese Definition, die einhellig von der UNICEF und einer grossen Anzahl NGOs im Bereich der Kinderrechte anerkannt wird, bricht eindeutig mit der stereotypen Vorstellung von Kindersoldaten. Es scheint heute unverzichtbar, auf der Basis dieser Prinzipien eine rechtlich bindende Definition festzulegen.
Aus strafrechtlicher Sicht stellt die „Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten“ gemäss Römer Statut und dem Statut des SCSL ein Kriegsverbrechen dar. Der SCSL hat die völkergewohnheitsrechtliche Natur dieser Straftat bestätigt. Die im Falle Lubanga am 29. Januar 2007 vom IStGH bestätigte Anklageschrift präzisiert, dass Lubanga angeklagt ist, Mädchen und Jungen eingezogen und bei Feindseligkeiten in Ituri eingesetzt zu haben. Des Weiteren wurden gegen Germain Katanga, Mathieu Ngudjolo Chui und Bosco Ntaganda wegen ihrer Rolle bei der Rekrutierung von Kindern Haftbefehle erlassen.
Nach einem Konflikt ist die Wiedereingliederung von Mädchen, die in Streitkräften eingebunden waren, ausschlaggebend bei der Bestimmung ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Zukunftsperspektive als Frau. Leider haben internationale Hilfsprogramme die speziellen Bedürfnisse dieser Mädchen zu oft nicht erkannt und haben sie deshalb nicht in die DDR-Programme (Desarmament, Demobilisation, Reintegration) zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration aufgenommen. Die Erfahrung mit den DDR-Programmen seit 2000 hat es ermöglicht, der internationalen Gemeinschaft klar zu machen, dass die Problematik der Mädchensoldatinnen als eine eigenständige zu behandeln und im Friedensprozess als solche miteinzubeziehen ist.
Die Auswahlkriterien, die eine Teilnahme an DDR-Programmen erlaubten, sind generell zu eng bestimmt worden. Die Definition des „Kämpfers“ (combatant) müsste erweitert werden, damit auch Personen die als Hilfskräfte tätig waren, und nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnahmen, mit einbezogen werden. Nur eine erweiterte Definition sichert eine Behandlung, welche die Geschlechterproblematik genügend beachtet und so die Teilnahme von Mädchen an DDR-Programmen ermöglicht. Die aktuellen Erfolge der DDR-Programme in Liberia sind der Erweiterung der Kämpferdefinition zu verdanken, welche die Integrierung der Mädchen in die Programme erleichtert hat. Um den Ausschluss der Mädchen von Wiedereingliederungsprozessen zu verstehen, müssen die Ausschlusskriterien erstmals identifiziert werden. Viele von diesen Mädchen sind nicht bereit, ihre militärische Beteiligung offiziell zuzugeben, denn ein Grossteil wird danach von der Familie und auch von der Gesellschaft stigmatisiert oder auch ausgeschlossen. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Gesellschaften, insbesondere mit nationalen Frauenorganisationen, ein wichtiger Schritt, um die Wiedereingliederung von Mädchen zu ermöglichen. Letztendlich haben die Mädchen in ihrer Zeit bei den Streitkräften auch Kompetenzen und Fähigkeiten erworben, welche im anschliessenden Wiedereingliederungsprozess Beachtung finden müssen.
Régine Gachoud arbeitet als Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am Sondergerichtshof für Sierra Leone. Die in diesem Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL (Track Impunity Always) und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebenso wenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.
Régine Gachoud
(Übersetzung: Natascha Knoblich)
Régine Gachoud ist Rechtsberaterin im Büro des Anklägers am SCSL. Die im Artikel geäusserten Meinungen sind ausschliesslich diejenigen der Autorin. Sie widerspiegeln nicht jene von TRIAL und verpflichten TRIAL in keiner Weise, ebensowenig wie andere Organisationen oder Institutionen für welche die Autorin tätig ist oder war.
Dieser Artikel ist im Journal von TRIAL Nr. 16 erschienen (Juni 2008, Seite 11-12)
Abonnieren
Posts (Atom)